10 Punkte zum Thema Asyl

Omid Nouripour, Bundesvorsitzender von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Britta Haßelmann, Vorsitzende der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wir überlassen den anderen Parteien nicht das Feld, hier unsere rechtskonformen 10 Punkte zum Thema:

Die Kommunen und Städte in unserem Land haben bei der Aufnahme der Geflüchteten geradezu Unglaubliches geleistet. Sie wollen wir zielgerichtet und schnell unterstützen, damit sie ihre Aufgaben weiter erfüllen können. Das bedeutet konkret, eine faire und dauerhafte Beteiligung des Bundes an der Finanzierung dieser Aufgaben sowie eine verlässliche Planung sicherzustellen. Sie sind Grundvoraussetzungen einer funktionierenden Politik, die Vertrauen schafft.

Dazu gehört auch, dass der Bund gezielt mehr finanzielle Verantwortung übernimmt, als bislang zugesagt wurde – insbesondere dort, wo die Herausforderungen am größten sind. Hierfür braucht es auch eine stärkere Beteiligung des Bundes an den Kosten für Integrationsmaßnahmen. Die Länder unterstützen die Kommunen finanziell mit Bundes- und Landesmitteln bei Schaffung, Unterhaltung und Herrichtung von Unterbringungsmöglichkeiten. Wir treten ein für eine solidarische und verlässliche Unterstützung, die vor Ort ankommt.

Die Unterbringung von geflüchteten Menschen gehört zu den dringlichsten Herausforderungen, vor denen die Kommunen stehen. Dabei müssen kurzfristig Kapazitäten geschaffen und gleichzeitig langfristige Ziele im Blick behalten werden. Die Länder sind ebenso wie die Kommunen aufgefordert, am Aufbau weiterer Unterbringungsmöglichkeiten zu arbeiten. Dazu muss auch der Bund weiter nach geeigneten und kurzfristig verfügbaren Liegenschaften suchen. Wer bei Familienangehörigen oder Freundinnen unterkommen darf, wird mit den zum Teil furchtbaren traumatischen Erlebnissen – etwa der Trennung von Eltern, Geschwistern und Partnerinnen – besser fertig werden als in einer zentralen Unterkunft; das gilt insbesondere für Kinder. Bei der Wohnsitzsauflage für Asylsuchende setzen wir uns für spürbare Erleichterungen ein, damit diese z.B. bei Familienangehörigen und Freund*innen unterkommen können. Damit entlasten wir kurzfristig den Wohnungsmarkt und fördern Integration vom ersten Tag an.

Wir sind überzeugt: Es müssen neue Unterkünfte zügig und vereinfacht gebaut werden, um zusätzliche Kapazitäten zu schaffen. Dabei setzen wir möglichst auf kleine und dezentrale Einheiten. Hierfür braucht es auch eine vorausschauende Planung und Finanzierung von Vorhaltekosten durch den Bund, um im Bedarfsfall handlungsfähig zu sein.

Menschen, die Geflüchtete bei sich aufnehmen und im Alltag unterstützen, wollen wir von Bürokratie entlasten und kompetente Ansprechpartner*innen in den Behörden zur Seite stellen.

Im Sinne einer gelebten Verantwortungsgemeinschaft muss das Thema Integration genauso in den Fokus gerückt werden wie die Fragen der akuten Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten. Es braucht jetzt eine Integrationsoffensive.

Gute und schnelle Integration und Sprachförderung helfen allen. Sie schaffen die Grundlage für gesellschaftliche Teilhabe, tragen zum gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort bei und investieren in die Zukunft unserer Gesellschaft. Integrations- und Sprachkurse sind die Voraussetzung dafür, dass sich Menschen schnell bei uns einleben und zurechtfinden. Wer den Zugang zu Integrationssprachkursen von Anfang an erhält, kann unsere Sprache schneller erlernen. Dafür müssen die Kurse flächendeckend ausgebaut und zuverlässig finanziert werden. Wir nehmen die besonderen Anforderungen etwa an Integrationskursen mit Kinderbeaufsichtigung in den Blick, damit auch Sorgeberechtigte an den Kursen teilnehmen können. Auch Erst-Orientierungskurse müssen in ausreichender Zahl angeboten werden. Dem hohen Bedarf an zusätzlichen Kita- und Schulplätzen gilt es, Rechnung zu tragen. Dazu wollen wir mit Lehrer*innen sowie Assistenzkräften, die als Sprach- und Integrationsmittler*innen agieren, unterstützen.

Frühzeitige, uneingeschränkte Zugänge zum Gesundheitswesen wollen wir unbürokratisch gewährleisten. Damit entlasten wir die Behörden und stellen eine medizinische Versorgung sicher. So kann auch eine psychotherapeutische Versorgung gewährleistet werden.

Die Entbürokratisierung und Digitalisierung von Prozessen ist eine wichtige Stellschraube, um Verfahren bei Einwanderungs- und Ausländerbehörden, beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie bei den Verwaltungsgerichten zu beschleunigen. Dadurch werden nicht nur Mitarbeitende in Behörden entlastet. Auch die Schutzsuchenden und Migrant*innen erhalten schneller die Unterstützung, die sie brauchen.

Wir wollen Verwaltungsverfahren in den Bundesländern vereinfachen und angleichen. Dafür ist eine einheitliche und digitale Aktenführung entscheidend. Für Visa zur Erwerbs- und Bildungsmigration wollen wir zudem die Geltungsdauer verlängern. Das berücksichtigen wir in den laufenden Gesetzgebungsverfahren im Migrationsbereich – etwa, indem wir den Vorschlägen des Deutschen Städtetages entsprechend Rechnung tragen.

Auch die Dauer von Aufenthaltserlaubnissen wollen wir verlängern. So entlasten wir die Behörden von unnötiger Bürokratie. Die Einwanderungs- und Ausländerbehörden gehören personell besser aufgestellt, um Engpässe zu beheben. Dafür braucht es zusätzliche Mittel.

Deutschland sucht händeringend nach Arbeits- und Fachkräften. Gleichzeitig wollen viele Geflüchtete arbeiten, aber dürfen es nicht. Das muss sich ändern. Für die Wahrung unseres Wohlstands und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft, gerade auch der vielen mittelständischen Unternehmen in Deutschland, liegt hier erhebliches Potenzial, das wir heben wollen. Hinzu kommt: Ein frühzeitiger Zugang zum Arbeitsmarkt sichert Teilhabe, fördert Integration und sorgt dafür, dass Menschen einen eigenen Beitrag zur Deckung ihrer Lebenshaltungskosten leisten können.

Deshalb wollen wir den Arbeitsmarkt öffnen und Arbeitsverbote aufheben. Verfahren zur Anerkennung von Berufsabschlüssen wollen wir vereinfachen und beschleunigen, Unterstützungs- und Qualifizierungsangebote ausweiten. Den sogenannten Spurwechsel in die Arbeitsmigration wollen wir vereinfachen. Das neu eingeführte Chancen-Aufenthaltsgesetz kann hierfür beispielgebend sein, weitere Reformen müssen folgen.

Der beste Weg, um irreguläre Migration einzuschränken, ist die Schaffung regulärer und sicherer Migrationswege. Diese Bundesregierung hat klargemacht: Deutschland ist ein Einwanderungsland.

Wir brauchen Fachkräfte – in der Industrie, im Gesundheitswesen, in der Gastronomie. Dafür werben wir weltweit um die besten Köpfe. Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz öffnen wir wichtige Möglichkeiten für Menschen, die in Deutschland arbeiten wollen. Wir ermöglichen qualifizierte Zuwanderung gerade in den Branchen, in denen der Bedarf groß ist, und stärken so unseren Wirtschaftsstandort. Damit begegnen wir auch dem Fach- und Arbeitskräftemangel in Deutschland.

Bei ihrem Amtsantritt hat die Bundesregierung gesetzliche Grundlagen der Visavergabe vorgefunden, die vor allem Migration verhindern sollte. Entsprechend sind die Visaverfahren komplex und mit einer Vielzahl zu beteiligender Behörden gestaltet. Das wollen wir angehen und Visaverfahren schaffen, die ein modernes Einwanderungsland Deutschland braucht.

Wir setzen deshalb auf Mobilitäts- und Migrationsabkommen mit Staaten außerhalb der EU, die vor allem Wege zur Bildungs- und Arbeitsmigration eröffnen. Hierzu muss auch über konkrete Zahlen und Verfahren gesprochen werden. Das schafft Planbarkeit – für die Betroffenen ebenso wie für die Kommunen, ihre Behörden und die Menschen vor Ort.

Der besonderen Verantwortung gegenüber ehemaligen Ortskräften sowie besonders gefährdeten Afghan*innen und ihren Familien werden wir z.B. durch humanitäre Aufnahme und die konsequente Umsetzung des Bundesaufnahmeprogramms gerecht. Die Sicherheitsüberprüfungen durch die Bundespolizei und das Bundesamt für Verfassungsschutz müssen nun schnellstmöglich durchgeführt werden.

Internationalen Vereinbarungen zum Schutz besonders vulnerabler Gruppen kommen wir nach. Unter anderem unterstützen wir das Resettlement-Programm des UNHCR mitsamt seinen geordneten und planbaren Verfahren.

Nicht jeder Mensch, der zu uns kommt, kann bleiben. Aber jeder Mensch, der bei uns Schutz sucht, hat Anrecht auf ein rechtsstaatliches Verfahren mit individueller Prüfung. Wer nach sorgfältiger Prüfung der asyl- und aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen sowie nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel kein Aufenthaltsrecht erhalten hat, muss zügig wieder ausreisen – insofern dem keine Abschiebehindernisse entgegenstehen.

Duldungen bedeuten einen Zustand in der Schwebe, fortdauernde Unsicherheit und Perspektivlosigkeit. Ein solcher Ausnahmezustand muss Ausnahme sein. Wenn Menschen bereits in der Gesellschaft verwurzelt sind, muss es Möglichkeiten geben, einen sicheren Aufenthalt zu erhalten. Sie brauchen ein sicheres Bleiberecht. Das eröffnet Teilhabe für die Menschen ebenso wie Chancen für Unternehmen und Betriebe.

Wir brauchen tragfähige Migrationsabkommen, die legale Wege der Zuwanderung aufweisen und gleichzeitig die Rücknahmebereitschaft in den Herkunftsländern erhöhen. Wir erwarten daher, dass der neue Sonderbevollmächtige der Bundesregierung für Migrationsabkommen baldige und umfassende Vereinbarungen mit Herkunftsländern abschließt. Sie sollen ein Gesamtkonzept bieten – mitsamt dem Ausbau von wirtschaftlicher Zusammenarbeit, Technologie-Transfers, Visa-Erleichterungen, Qualifizierungsmaßnahmen für den deutschen Arbeitsmarkt und Jobbörsen. Genauso gehört die Zusammenarbeit bei der Rückkehr abgelehnter Asylsuchender zu diesen Abkommen.

Am Ende rechtsstaatlicher Verfahren kann die Ausreise stehen. Dabei setzen wir vor allem anderen auf die freiwillige Rückkehr. Kooperation mit den Herkunftsstaaten ist hierbei entscheidend. Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete verbieten sich. Die Menschen, die schwere Straftaten begangen haben, müssen nach Verbüßung ihrer Strafe prioritär zurückgeführt werden. Dabei müssen zu jedem Zeitpunkt ihre Menschenrechte gewahrt werden.

Aktuell sind die Geflüchteten innerhalb der Europäischen Union sehr ungleich auf die Mitgliedsstaaten verteilt. Deutschland trägt einen wesentlichen Anteil bei der Aufnahme von Geflüchteten. Wir treten für eine faire und gesteuerte Verteilung der Menschen auf die Mitgliedstaaten ein. Um zu verhindern, dass einzelne Staaten überfordert werden, ist eine Reform des Europäischen Asylsystems dringend notwendig.

Gerade Staaten mit Außengrenzen und solche, die viele Menschen aus der Ukraine aufgenommen haben, sind auf eine geordnete Verteilung und Unterstützung der EU sowie auf europäische Solidarität beim rechtstaatlichen Grenzschutzmanagement angewiesen. Dazu zählt auch Deutschland. Eine verbindliche und faire Verteilung ist zudem die Grundlage für die Durchführung rechtsstaatlicher Verfahren und eine frühzeitige Integration.

Es muss eine europäische Kraftanstrengung geben, um die Fluchtursachen statt Geflüchtete zu bekämpfen. Es kann nicht unser Ziel sein, dass Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen erst nach Europa fliehen müssen, um in Sicherheit zu sein und eine Zukunft für sich und ihre Kinder zu haben. Deswegen wollen wir sicherstellen, dass diejenigen, die aus Krisenregionen in Nachbarregionen oder innerhalb ihres Landes fliehen, frühzeitig echte Perspektiven und eine gute Versorgung erhalten.

Die humanitäre Situation an den zu schützenden Außengrenzen der EU muss schnellstmöglich verbessert werden. Eine immer stärkere Abschottung kann dabei nicht die Lösung sein. Die Kontrolle der Außengrenzen muss vielmehr mit rechtsstaatlichen Mitteln und unter Einhaltung der Menschenrechte geschehen. Wir setzen uns dafür ein, dass die EU-Kommission nachdrücklich gegen völkerrechtswidrige Push-Backs von Schutzsuchenden vorgeht. Menschen, die die EU erreichen, müssen die Möglichkeit haben, Asyl zu beantragen sowie menschenwürdig untergebracht und versorgt zu werden.

Wir stehen ein für die inhaltliche Prüfung der Asylanträge in der EU. Dafür ist es notwendig, dass die Menschen schnell und zuverlässig registriert werden. Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen benötigen jederzeit Zugang zu den Geflüchteten und den Grenzregionen. Die Versorgung mit medizinischen Gütern und Lebensmittel muss stets sichergestellt sein. Vulnerablen Gruppen sowie Kindern und Jugendlichen gebührt besonderer Schutz.

Die EU muss sicherstellen, dass Menschenrechte an den Außengrenzen gewahrt und Verstöße sanktioniert werden. Dazu braucht es ein Menschenrechtsmonitoring an den Außengrenzen, parlamentarische Kontrolle der EU-Agenturen und ein konsequentes Eingreifen der EU-Kommission gegenüber Mitgliedstaaten, die illegale Push-Backs vornehmen.

Nach wie vor gilt das Mittelmeer als tödlichste Grenze der Welt. Dass jedes Jahr über 1.000 Geflüchtete, darunter immer wieder auch Kinder, im Mittelmeer ertrinken, ist und bleibt ein unerträglicher Zustand.

Hinzu kommt: Seenotrettung ist völkerrechtliche Pflicht. Wir nehmen deshalb nicht hin, dass Seenotretter*innen tagtäglich in ihrer Arbeit behindert und kriminalisiert werden – dafür, dass sie versuchen, Menschenleben zu retten. Wir treten für eine zivile, flächendeckende und europäisch koordinierte Seenotrettung ein – samt ausreichender Finanzierung.

Die europäischen Staaten sind gemeinsam dafür verantwortlich, dass zivile Seenotrettungsorganisationen gefahrlos ihre Einsätze absolvieren können. Menschen, die von Seenotrettungsschiffen aufgenommen werden, müssen die Möglichkeit haben, Asyl zu beantragen. Eine faire Verteilung auf die Mitgliedsstaaten sollte selbstverständlich sein. Die Kooperation mit libyschen Milizen lehnen wir ab. Die EU darf sich nicht an Menschenrechtsverbrechen in Libyen oder anderswo beteiligen.


Artikel kommentieren

Artikel kommentieren

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website einverstanden. Weiteres entnehmen Sie bitte der Datenschutzerklärung.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner